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Übersicht

BEHANDLUNG UND PROPHYLAXE
VENTRIKULÄRER RHYTHMUSSTÖRUNGEN

Spätestens seit in der CAST*-Studie unter Flecainid (TAMBOCOR) mehr Herzinfarktpatienten mit ventrikulären Rhythmusstörungen verstarben als unter Plazebo (a-t 1989; Nr. 8: 74, 1991; Nr. 10: 91-2),1 ist zu fordern, dass die Wirksamkeit antiarrhythmischer Therapien durch harte klinische Endpunkte belegt ist. Insbesondere für die Dauerbehandlung reicht es nicht aus, Rhythmusstörungen oder subjektive Beschwerden und andere Surrogatparameter zu unterdrücken (vgl. a-t 1999; Nr. 11: 113-4).2,3 Unter allen Antiarrhythmika, vor allem unter Sotalol (SOTALEX u.a.) und Mitteln der Klassen Ia und Ic (Tabelle), sowie bei schwerer kardialer Grundkrankheit ist mit potenziell lebensbedrohlichen proarrhythmischen Effekten zu rechnen (bis 16%).2,4

*

CAST = Cardiac Arrhythmia Suppression Trial

UNTERBRECHUNG VON ARRHYTHMIEN: Ajmalin (GILURYTMAL; 50 mg i.v.) gilt als Mittel der Wahl, anhaltende Kammertachykardien (mehr als 30 Extrasystolen in Folge) bei hämodynamisch stabilen Patienten zu unterbrechen.5 Die Erfolgsrate liegt bei 60% bis 65%.6 Ähnlich effektiv sind Flecainid (2 mg/kg i.v.), Sotalol (SOTALEX u.a.; 1 mg/kg i.v.) und Novocamid (hierzulande nicht mehr im Handel; 10 mg/kg i.v.). Mit Erfolgsraten bis 30% wirkt das noch häufig verwendete Lidokain (XYLOCAIN u.a.; 100 mg i.v.) schlechter. Die erstgenannten Mittel können bei Versagen von Lidokain noch helfen.5,6 Bei Nichtansprechen oder Rezidiven sind nicht mehr als zwei Antiarrhythmika zu kombinieren. Wegen Auslösung von Hypotonien mit Kammerflimmern und Tod verbieten sich Kalziumkanalblocker wie Diltiazem (DILZEM u.a.) oder Verapamil (ISOPTIN u.a.). Ajmalin eignet sich besonders in Notfallsituationen, wenn sich Vorhoftachykardien mit Leitungsblockierungen schwer von Kammertachykardien abgrenzen lassen.5

Für Kammertachykardien im Rahmen akuter Myokardinfarkte bei hämodynamischer Stabilität wird oft noch Lidokain empfohlen.5 Amiodaron (CORDAREX u.a.) gilt als Alternative, zunehmend auch Ajmalin. Randomisierte Vergleiche fehlen. Prophylaktische Lidokain-Injektionen sind obsolet (AV- Blockierung, Sinusknotenstillstand).3,7

Bei Kammertachykardien mit hämodynamischer Instabilität und bei Kammerflimmern ist die elektrische Kardioversion oder Defibrillation Methode der Wahl. Entwickeln sich nach primär erfolgreicher elektrischer Behandlung häufig Rezidive, lässt sich die Hämodynamik vieler Patienten mit Amiodaron (1g bis 2 g/24 h i.v.) stabilisieren. Wahrscheinlich verbessert sich auch die Langzeitprognose.8

Bei primär therapierefraktären pulslosen Kammertachykardien oder Kammerflimmern (mehr als drei erfolglose Defibrillationsversuche) erhöhen 300 mg Amiodaron i.v. den Reanimationserfolg um 10%. Die Überlebensrate bei Krankenhausentlassung bleibt jedoch unbeeinflusst.9 Vergleichbar enttäuschend wirken 50 mg bis 200 mg Lidokain i.v. sowie Adrenalin (SUPRARENIN u.a.) in konventioneller (1 mg alle 3 bis 5 Min.) oder hoher Dosierung (10 mg alle 3 bis 5 Min.).10,11

Spitzenumkehr-Tachykardien (Torsade de pointes) sind typisch für QT-Syndrome. Meist haben sie niedrige Frequenzen, enden spontan und werden toleriert. QT-Syndrome sind angeboren oder erworben (Elektrolytstörungen, Medikamente wie Klasse-Ia- und III-Antiarrhythmika, Antidepressiva, Neuroleptika, Antihistaminika, Cisaprid [PROPULSIN u.a.], Makrolid-Antibiotika u.a. [a-t 1998; Nr. 7: 68]). Zur Unterbrechung der Tachykardien ist Magnesiumsulfat (CORMAGNESIN u.a.) Mittel der Wahl (2 g i.v.). Sonstige Antiarrhythmika wirken unsicher oder sind kontraindiziert. Intrakardiales Pacing ("Einfangen" der Tachykardie) ist eine weitere Option. Bei angeborenen QT-Syndromen ist die prophylaktische Einnahme von Betablockern Mittel der Wahl. Wenn dies nicht ausreicht, werden zusätzlich Schrittmacherimplantate (mit oder ohne Defibrillatorfunktion) oder Denervierung des kardialen Sympathikus erforderlich.12,13

PROPHYLAXE: Risikopatienten für lebensbedrohliche ventrikuläre Rhythmusstörungen oder plötzlichen Herztod müssen erkannt werden. Hierfür sind kardiale Grundkrankheit, linksventrikuläre Funktion, früherer Myokardinfarkt oder vorangegangene lebensbedrohliche ventrikuläre Rhythmusstörungen entscheidend.2,3 Invasive elektrophysiologische Tests ermöglichen keine hinreichende Einschätzung der Prognose. Für Entscheidungen zu medikamentöser Therapie geben sie keine bessere Hilfestellung als ein 24-Stunden-EKG. Wie sinnvoll sie zur Indikationsstellung für einen implantierbaren Kardioverter-Defibrillator (ICD) sind, bleibt zu klären. Studien mit entsprechenden Hinweisen sind methodisch mangelhaft und wenig aussagekräftig.14,15 Auch die Klassifizierung ventrikulärer Arrhythmien nach LOWN mit Identifizierung vermeintlicher "Warnarrhythmien" hat für die Risikoabwägung keine Bedeutung mehr. Welche Relevanz nichtinvasive elektrophysiologische Untersuchungen (Signalmittelungen im EKG für Frequenzvariabilität, Spätpotentiale, T-Wellen-Dispersionen u.a.) für Therapie-Entscheidungen haben, lässt sich noch nicht beurteilen.3,16,17

Bei häufigen oder komplexen ventrikulären Extrasystolen und nicht anhaltenden Kammertachykardien (unter 30 Extrasystolen in Folge) ohne strukturelle Herzkrankheit ist die Prognose gut, eine antiarrhythmische Behandlung nur selten erforderlich. Bei subjektiven Beschwerden (Palpitationen, Herzrasen) kann zeitlich begrenzt ein Betablocker ohne intrinsische Aktivität erwogen werden, beispielsweise Metoprolol (BELOC u.a). Sotalol verbietet sich wegen arrhythmogener Effekte. Elektrolytstörungen (Magnesium, Kalium) sind auszuschließen bzw. zu korrigieren.3,16-18

Selten treten anhaltende, aber wegen niedriger Frequenz asymptomatische Kammertachykardien (über 30 Extrasystolen in Folge) auf, meist bei jüngeren Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung. Diese erfordern subtile Diagnostik in einem Zentrum. Mögliche Ursachen sind Dysplasien im rechten Ventrikel. Therapeutisch können Verapamil oder Betablocker helfen. Bisweilen werden Ablationsverfahren erforderlich.3

Unabhängig von Rhythmusstörungen ist nach Myokardinfarkt immer ein Betablocker zu empfehlen, sofern keine Kontraindikationen bestehen (a-t 1994; Nr. 2: 21-2). Betablocker senken die Mortalität in den folgenden zwei bis drei Jahren um 20% bis 30%, vorwiegend indem sie akute Herztodesfälle verringern. Pro 100 Behandlungsjahre wird ein Todesfall verhindert. Am besten untersucht sind Metoprolol, Propranolol (DOCITON u.a.)19 und Timolol (hierzulande zur systemischen Therapie nicht mehr im Handel). Betablocker mit intrinsischer Aktivität sind zu meiden. Nach heutiger Kenntnis sind Antiarrhythmika der Klasse Ia und Ic bei Postinfarkt-Patienten kontraindiziert. Das gilt auch für Sotalol.1,3,20 Die SWORD**-Studie wurde wegen Übersterblichkeit unter dem Enantiomer D-Sotalol abgebrochen (a-t 1994; Nr. 12: 119).21

**

SWORD = Survival With Oral D-Sotalol Trial

Ein besonderes Risiko für plötzlichen Herztod besteht nach Myokardinfarkt mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (Ejektionsfraktion unter 35% bis 40%) oder bei Herzinsuffizienz (NYHA II bis IV), wenn häufigere komplexe ventrikuläre Extrasystolen oder nicht anhaltende Kammertachykardien auftreten.3,17 Wie nach unkompliziertem Myokardinfarkt sind Betablocker angezeigt. Metoprolol und Bisoprolol (CONCOR u.a.) senken bei Herzinsuffizienz die Mortalität unabhängig von der Ursache, besonders durch Verminderung des plötzlichen Herztodes. 70 Behandlungsjahre sind zur Verhinderung eines Todesfalles notwendig.22,23

Bei hohem Risiko für plötzlichen Herztod steht als einziges weiteres Antiarrhythmikum Amiodaron zur Diskussion. Nach zwei Metaanalysen soll Amiodaron (200 mg/Tag) plötzliche Todesfälle um 30% und die Gesamtmortalität um 15% pro Jahr reduzieren. Zur Verhinderung eines Todesfalles wären 70 bis 75 Behandlungsjahre notwendig, unabhängig von der kardialen Grundkrankheit.24,25 Die Daten stammen überwiegend aus einer kanadischen sowie einer europäischen Studie.26,27 In den Einzelarbeiten ließ sich dabei statistisch nicht sichern, dass Mortalität oder die Zahl plötzlicher Todesfälle abnehmen. Neben Störwirkungen wie Schilddrüsenfunktionsstörungen (bis 10% pro Jahr), Neuropathien, Kornea-Einlagerungen, Phototoxizität u.a. schädigt Amiodaron in Dosierungen um 400 mg/Tag bei etwa jedem Zehnten die Lunge mit Lungenfibrose, Pneumonitis, Alveolitis u.a. (a-t 1997: Nr. 6; 71). Die Abbruchrate liegt bei 20% pro Jahr. Der Nutzen einer Behandlung mit Amiodaron ist somit sorgfältig gegen die Störwirkungen abzuwägen. Komedikation mit Betablockern scheint additiv zu wirken.28

Implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren sind bei erhöhtem Herztod-Risiko derzeit nicht zur Primärprophylaxe angezeigt. Nach bisherigen Studien kann ein therapeutischer Nutzen nicht als belegt gelten.3,17,32

Anhaltende symptomatische Kammertachykardien oder Überleben kardialer Reanimation (Kammerflimmern oder pulslose Kammertachykardien) erfordern zwingend die antiarrhythmische Rezidivprophylaxe. In mehreren Studien wirken ICD besser als Antiarrhythmika.14,29,30 Im Vergleich zu Amiodaron wird pro 10 bis 20 Patientenjahre ein Todesfall mehr verhindert.29,30 Methodische Mängel der Studien, hohe Kosten und schlechte Patientenakzeptanz begründen jedoch eine zurückhaltende Indikationsstellung. Zur Basisbehandlung dienen auch bei diesen Patienten Betablocker.31,32 Geprüft wird, ob die Kombination von ICD mit Antiarrhythmika therapeutische Vorteile bietet und die Aktivierungsfrequenz der ICD reduziert.33

Bei Kontraindikationen oder anderen Gründen gegen ICD bleibt als Alternative (zusätzlich zu Betablockern) Amiodaron. Einzelne Studien machen einen klinischen Nutzen für Überlebende nach Reanimation wahrscheinlich.8 Das Störwirkungsprofil zwingt jedoch zur strengen Nutzen-Risiko- Abwägung. Klasse-Ia- und Ic-Antiarrhythmika sowie Sotalol erscheinen nutzlos und zudem gefährlich. Neue Klasse-III-Antiarrhythmika (Azimilid u.a.) werden klinisch geprüft.3,17,20

FAZIT: Zur Unterbrechung stabiler Kammertachykardien ist Ajmalin (GILURYTMAL i.v.) Mittel der Wahl. Bei refraktärem Kammerflimmern kann Amiodaron (CORDAREX u.a.) Erfolge von Defibrillationen nur initial verbessern. Betablocker vermindern nach Infarkt und bei Herzinsuffizienz arrhythmogene Todesfälle. Hochrisikopatienten könnten zusätzlich von Amiodaron profitieren, dessen Störwirkungen sprechen jedoch gegen die breite Verwendung. Nach Reanimation wegen Kammerarrhythmien ist ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) Therapie der Wahl. Medikamentös bleibt neben Betablockern Amiodaron einzige Option. Prophylaktisch eingenommene Klasse-I-Antiarrhythmika erhöhen die Mortalität. Sotalol (SOTALEX u.a.) birgt gleiche Gefahren.



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