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LICHTSENSIBILISIERUNG DURCH ARZNEIMITTEL

Wenn das Wetter schöner wird, suchen häufiger Patienten mit lichtgeschädigter Haut den Arzt auf. Nicht immer liegen die Ursachen in einem unvernünftig intensiven Sonnenbad. Selbst kurzer Sonnenkontakt bei warmen oder kalten Temperaturen sowie der Besuch einer Sonnenbank kann ausgeprägte Hautreaktionen zur Folge haben, wenn innerlich oder äußerlich angewendete Arzneimittel oder Kosmetika und Parfums die hautschädigende Kraft des UV-Lichts – hauptsächlich UVA-, aber auch UVB-Licht – verstärken. Die Lichtempfindlichkeit hält unter Umständen Monate nach Absetzen des auslösenden Mittels an.1

Oft wird zwischen phototoxischen und photoallergischen Reaktionen unterschieden, die sich jedoch im Erscheinungsbild nicht immer abgrenzen lassen. Zahlreiche Medikamente können beide Formen auslösen.

Das klinische Bild der phototoxischen Reaktion2-4 entspricht dem einer akuten Dermatitis bzw. eines akuten Sonnenbrands mit Rötung, Ödem, Blasenbildung und Schuppung. Lichttoxische Beschwerden

  • beruhen auf direktem Einfluß des Arzneimittels im belichteten Hautgewebe,
  • sind auf die sonnenexponierten Partien beschränkt – vor allem auf Gesicht, Hals, Unterarme und Handrücken (Schattenregionen wie Oberlider der Augen bleiben in der Regel ausgespart),
  • können bei der ersten Anwendung auftreten,
  • kommen dosisabhängig bei einem hohen Prozentsatz exponierter Personen vor und
  • haben eine kurze Latenzzeit von Minuten bis wenigen Stunden auch bei Erstkontakt.

Zahlreiche Arzneimittel verursachen überwiegend phototoxische Reaktionen, so z.B. nichtsteroidale Antirheumatika* wie Azapropazon (TOLYPRIN), das etwa 50mal häufiger Lichtschäden hervorruft als andere Entzündungshemmer (a-t 7 [1994], 66; 10 [1994], 94), Piroxicam (FELDEN u.a.; a-t 5 [1986], 40) und Tiaprofensäure (SURGAM; a-t 8 [1983], 71; 2 [1984], 20), Thiaziddiuretika wie Hydrochlorothiazid (ESIDRIX), trizyklische Antidepressiva, Phenothiazine, vor allem Chlorpromazin (PROPAPHENIN), und Retinoide. Das Antiarrhythmikum Amiodaron steht chemisch den zur Phototherapie verwendeten Psoralenen wie Methoxsalen (MELADININE) nahe und provoziert bei bis zu jedem zehnten Anwender lichttoxische Reaktionen. Wegen der langen Halbwertszeit von zwei bis vier Wochen halten diese bis zu vier Monate nach Absetzen des Antiarrhythmikums an,2 eine violettgraue Verfärbung betroffener Hautareale hält auch länger vor.4

*

Die nichtsteroidalen Antirheumatika Benoxaprofen (COXIGON; vgl. a-t 3 [1981], 20) und Carprofen (IMADYL) kamen unter anderem wegen phototoxischer Hautschäden einschließlich Nagelablösung vom Markt.

Unter den Antibiotika verursachen Tetrazykline wie Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a.) besonders häufig Lichtschäden. Der Hautsymptomatik kann nach drei bis sechs Wochen eine schmerzhafte Entzündung unter den Fingernägeln (bisweilen auch den Fußnägeln) folgen mit Ablösung des Nagels (Photoonycholyse).4

Wirkstoff   Handelsname

Antibiotika/Chemotherapeutika
Ciprofloxacin (CIPROBAY)
Co-trimoxazol (BACTRIM u.a.)
Dapson (DAPSON-FATOL)
Demeclocyclin (LEDERMYCIN)t
Doxycyclin (VIBRAMYCIN N u.a.)t
Flucytosin (ANCOTIL)
Griseofulvin (FULCIN S u.a.)a
Lincomycin (ALBIOTIC)a
Minocyclin (KLINOMYCIN u.a.)t
Nalidixinsäure (NOGRAM)a,t
Norfloxacin (BARAZAN u.a.)
Ofloxacin (TARIVID)
Oxytetracyclin (TETRA TABLIN. u.a.)t
Pyrazinamid (PYRAFAT u.a.)a
Sulfonamide (z.B. LONGUM)a,t
Tetracyclin (HOSTACYCLIN u.a.)t
Trimethoprim (TRIMANYL u.a.)

Antidiabetika
Glibenclamid (EUGLUCON N u.a.)a
Glipizid (GLIBENESE)a
Tolbutamid (RASTINON u.a.)a

Antihistaminika
Cyproheptadin (PERITOL)a
Diphenhydramin (BENADRYL N u.a.)a

Antirheumatika
Azapropazon (TOLYPRIN)
Diflunisal (FLUNIGET)
Goldsalze (z.B. AUREOTAN)a
Ibuprofen (BRUFEN u.a.)
Indometazin (AMUNO u.a.)a
Ketoprofen (ALRHEUMUN u.a.)
Nabumeton (ARTHAXAN)
Naproxen (PROXEN u.a.)t
Phenylbutazon (BUTAZOLIDIN u.a.)a
Piroxicam (FELDEN u.a.)a,t
Tiaprofensäure (SURGAM)t

Bluthochdruckmittel
Captopril (LOPIRIN u.a.)t
Diltiazem (DILZEM u.a.)
Methyldopa (PRESINOL u.a.)
Minoxidil (LONOLOX)
Nifedipin (ADALAT u.a.)

Diuretika
Amilorid (in MODURETIK u.a.)
Azetazolamid (DIAMOX u.a.)
hlortalidon (HYGROTON u.a.)a
Furosemid (LASIX u.a.)t
Metolazon (ZAROXOLYN)
Thiaziddiuretikaa wie
Bendroflumethiazid
(in DOCIDRAZIN u.a.)a
Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.)a
Polythiazid (POLYPRESS)a
Trichlormethiazid (ESMALORID)a
Triamteren (JATROPUR)

Krebsmittel
Dacarbazin (D.T.I.C.)t
Fluorouracil (FLUROBLASTIN u.a.)t
Flutamid (FUGEREL)
Methotrexat
(METHOTREXAT LEDERLE u.a.)
Vinblastin (VELBE u.a.)t

 

Malariamittel
Chinin (CHININUM SULF. u.a.)a
Chloroquin (RESOCHIN u.a.)a
Mefloquin (LARIAM)a

Psychopharmaka
Alprazolam (TAFIL u.a.)
Barbiturate (z.B. LUMINAL)a
Chlordiazepoxid (LIBRIUM u.a.)a
Haloperidol (HALDOL u.a.)
Phenothiazin-Neuroleptika wie
Chlorpromazin (PROPAPHENIN)a,t
Fluphenazin (DAPOTUM u.a.)a
Levomepromazin (NEUROCIL u.a.)t
Perphenazin (DECENTAN)a
Promethazin (ATOSIL u.a.)a
Thioridazin (MELLERIL)a,t
Trifluoperazin (JATRONEURAL)t
Triflupromazin (PSYQUIL)a,t
trizyklische Antidepressivaa wie
Amitriptylin (SAROTEN u.a.)a
Clomipramin (ANAFRANIL u.a.)a
Desipramin (PERTOFRAN u.a.)a
Doxepin (APONAL u.a.)a
Imipramin (TOFRANIL u.a.)a
Maprotilin (LUDIOMIL u.a.)a
Nortriptylin (NORTRILEN)a
Trazodon (THOMBRAN)a
Trimipramin (STANGYL u.a.)a

Sonstige Wirkstoffe
ätherische Öle wie
Bergamott-, Lavendel-, Limonen-,
Sandelholz-, Zedern-, Zitronenöl
(in Parfums und Kosmetika)

Alimemazin (THERALENE u.a.)t
Amantadin (SYMMETREL u.a.)a
Amiodaron (CORDAREX)t
Azathioprin (IMUREK u.a.)a
Benzokain (ANAESTHESIN u.a.)a
Benzoylperoxid (PANOXYL u.a.)
Benzydamin (TANTUM)a,t
Carbamazepin (TEGRETAL u.a.)a
Chinidin (OPTOCHINIDIN u.a.)a
Desoximetason (TOPISOLON)
Disopyramid (RYTHMODUL u.a.)
Fibrat-Lipidsenker wie
Clofibrat (REGELAN N u.a.)
Fenofibrat (LIPANTHYL u.a.) u.a.
Hexachlorophen
(in AKNEFUG SIMPLEX Creme u.a.)
Kontrazeptiva, oralea
Methoxypsoralen (MELADININE)t
Moschus (in Parfums)
Phenprocoumon (MARCUMAR u.a.)t
und andere Kumarinet
Prokain (NOVOCAIN u.a.)a
Pyritinol (ENCEPHABOL u.a.)a,t
Retinoide wie
Acitretin (NEOTIGASON)
Isotretinoin (ROACCUTAN)
Tretinoin (EPI-ABEREL u.a.)
Steinkohlenteer (BERNITER u.a.)


*  Kursiv geschriebene Mittel werden häufiger in Verbindung mit Lichtsensibilisierung genannt.
Soweit bekannt, ist der wahrscheinliche Schädigungstyp angegeben:
a = (überwiegend) photoallergisch,
t = (überwiegend) phototoxisch; Aufstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Das klinische Bild der photoallergischen Reaktion2-4 äußert sich wie ein allergisches Kontaktekzem mit sonnenbrandtypischen Beschwerden, die einer phototoxischen Reaktion ähneln. Es ist jedoch vielfältiger und geht mit starkem, überwiegend den Belichtungsort betreffenden Juckreiz einher sowie auch mit exzematösen Bezirken, Papeln und Papulovesikeln. Streureaktionen in nicht belichteten Hautarealen kommen vor. Lichtallergische Symptome

  • beruhen auf lichtbedingter Bildung eines Halbantigens (Hapten) im Körper, das nach Bindung an ein Trägereiweiß zum Vollantigen (Photoantigen) wird,
  • entstehen am Ort der Belichtung sowie zum Teil auch in nichtbelichteten, entfernten Hautbezirken,
  • kommen bei relativ wenigen Personen vor, die mit dem auslösenden Stoff in Kontakt kommen,
  • setzen eine Sensibilisierungsphase voraus, so daß sie erst fünf bis zehn Tage nach Erstkontakt auftreten bzw. bei bestehender Sensibilisierung (bei chemisch verwandten Stoffen wie Chinin/Chinidin Kreuzsensibilisierung möglich) etwa 24 Stunden nach Anwendung und Belichtung.

Die photosensibilisierenden Eigenschaften des Neuroleptikums Chlorpromazin (PROPAPHENIN) und des Antimykotikums Griseofulvin (FULCIN S. u.a.) sind gut bekannt. Die Schädigung durch das Phenothiazin kann sowohl phototoxischen als auch -allergischen Ursprung haben. Dies gilt auch für Chinin (LIMPTAR N u.a.) und das Antiarrhythmikum Chinidin (CHINIDIN DURILES u.a.).

Cave: Besteht eine photoallergische Sensibilisierung, können die Beschwerden bereits durch geringe Mengen eines Wirkstoffes wieder aufflammen.

NETZWERK-Erfahrungen: Starker Juckreiz beider Handrücken mit Bildung vereinzelter Bläschen und ausgeprägte Schwellung der gesamten Gesichtshaut acht Monate nach Beginn der Einnahme des ACE-Hemmers Lisinopril (CORIC) lassen sich zwei Monate später bei einem 49jährigen Hochdruckkranken durch Reexposition und UV-Bestrahlung an sonst lichtgeschützter Körperstelle als photoallergische Reaktionen sichern (NETZWERK-Bericht 6437). Nach antimykotischer Behandlung mit Naftifin (EXODERIL) äußerlich wird eine photoallergische Reaktion mit bullöser Veränderung an Fußrücken und Wange beschrieben (2764), unter Einnahme von Itraconazol (SEMPERA) eine Erysipel-ähnliche Photodermatose im Gesicht (5593). Der zweitägigen Einnahme des Makrolid-Antibiotikums Clarithromycin (CYLLIND) folgt bei einer 41jährigen eine Dermatitis solaris mit Quincke-Ödem-ähnlichem Erscheinungsbild (6642). Nach achtjähriger Einnahme des Betablockers Metoprolol (LOPRESOR) entwickelt sich ein photosensibles, nässendes Ekzem mit Juckreiz (7416). Eine 39jährige Frau, die gegen Krampfaderbeschwerden Aescin in Roßkastaniensamen-Extrakt (VENOSTASIN S) einnimmt, reagiert unter künstlichem und natürlichem UV-Licht mit unerwartet starkem Sonnenbrand. Nach Absetzen und Reexposition treten keine Hautveränderungen mehr auf (5775).

Die Diagnostik der phototoxischen Reaktion stützt sich auf Anamnese und Karenzversuch, während zur Erkennung lichtallergischer Reaktionen auch der belichtete Epikutantest hilfreich ist.

Auslösende Arzneimittel sind möglichst abzusetzen. Im Freien ist konsequent für Lichtschutz durch bedeckende Kleidung und Verwendung von Lichtschutzpräparaten mit hohem Filterfaktor (auf Faktor A achten) zu sorgen (a-t 7 [1994], 62). Lichtschutzmittel lösen mitunter selbst allergische oder photoallergische Hautreaktionen aus (a-t 6 [1989], 56). Auf Bräunung in sog. Sonnenbanken muß verzichtet werden.

FAZIT: Zahlreiche Arzneimittel verstärken die hautschädigende Wirkung natürlichen und künstlichen UV-Lichtes. Liegt ein allergischer Mechanismus zugrunde, können die Sonnenbrand-typischen Beschwerden bereits durch geringe Dosierungen wieder aufflackern, während phototoxische Lichtschäden wesentlich von der Konzentration des auslösenden Stoffes abhängen. Kenntnis der potentiell schädigenden Arzneimittel bzw. Substanzen in Kosmetika und Parfums hilft, den unangenehmen Folgen von schönem Wetter und "Sonnenbank"-Besuchen vorzubeugen.

1

Med. Letter 37 (1995), 35

2

DAVIES, D. M.: "Textbook of Adverse Drug Reactions", Oxford University Press, Oxford, 1991, Seite 519

3

"Vom Verdacht zur Diagnose", A.V.I. Berlin, 1992, Seite 322

4

BORK, K.: "Kutane Arzneimittelnebenwirkungen", SCHATTAUER Stuttgart, 1985, Seiten 172, 263


© 1995 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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